Der Alte

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Unbeachtet betritt der Alte die Stadt.
Ja, er ist alt, sehr alt, aber in Wirklichkeit ist er noch viel älter, als sich ein Beobachter vorstellen könnte.
Seine Erscheinung ist gewöhnlich, schlicht, völlig unauffällig. Ein alter Mann, der, gebeugt vom Last der vielen Jahre, langsam seiner Wege geht.

Doch der Alte ist gefährlich! Auf seinem Weg hinterläßt er eine Spur des Chaos, trennt die Stadt in den Teil, der zu sein scheint, und in den Teil, der gewesen ist.

Es sind die Augen des Alten. Sie sind klar und kalt. Sie haben Beginn und Ende des Seins gesehen. In ihnen funkelt die Zeit, spiegeln sich die Jahrtausende. Sie haben viele Menschen gesehen, Menschen von damals, von heute und von morgen.
Seine Augen sind kalt und hart, sein Blick ist unendlich tief. Wer in seine Augen blickt, blickt in die Unendlichkeit der Zeit, und dort seht er sich selbst!
Wie ein Geschoß bohrt sich der Blick des Alten tief hinein in die Menschen. Und trifft!
Der Blick in die Augen des Alten ist wie ein Blick in den Spiegel der Seele. Ein Bild der Wahrheit, der schonungslosen Offenheit.

Es trifft nicht jeden, denn der Alte sucht nicht, er läßt sich finden. Und nicht jedem passiert etwas. Die Maske von vielen zerbricht, doch das Tuch des Vergessens und Verdrängens ist schnell zur Hand und legt sich gnädig über offene Wunden. Nach kurzer Zeit des Entsetzens, der Erkenntnis und des Abwägens ist die Maske wieder da.

Aber nicht bei allen!

Einige wenige können nicht vom Blick des Alten getroffen werden.
Nur ganz wenige sehen sich im Spiegel ihrer selbst unverändert, nur ganz wenige brauchen sich vor sich selbst nicht zu fürchten.
Manche sehen sich im Spiegel auch gar nicht. Da kann der Alte nichts ausrichten, in seinen Augen spiegelt sich die Seele, nicht das Licht.

Bei manchen aber entzündet der Blick des Alten ein lohderndes Feuer tief im Inneren, in der Seele.
Dieses Feuer ist heiß, obwohl es mit keinem Thermometer zu messen ist. Und dieses Feuer erlischt nicht von alleine, denn es ernähert sich von all dem Dunklen, Unbekannten, Unerkannten, Fraglichen, was der Blick des Alten in der Seele gezeigt hat.

Es ist wie das Feuer des Teufels. Es nährt sich aus Angst, Zweifel, Haß und Einsamkeit, und seine Flammen verbrennen Kraft, Liebe und Leben in einer infernalen Orgie aus Vernichtung und Zerstörung.

Der Blick verklärt sich.
Aus Liebe wird Haß, aus Zuneigung Einsamkeit. Die Gesichter anderer Menschen verzerren sich, tiefe Spalten bilden unüberbrückbare Grenzen.
Es sind die Ingredienzen der dunklen Seite, die das Feuer am Leben halten:
Haß.
Mißtrauen.
Zweifel.
Angst.
Angst vor dem Unbekannten, Angst vor sich selbst, lähmende Angst vor dem, was kommt. Angst vor dem Blick nach vorne.
Zweifel an sich und anderen. Zweifel an Gefühlen und an Liebe.
Mißtrauen gegenüber dem, was man sieht, fühlt und mag.
Haß, das Ende des Mensch-Seins. Nur noch lohderndes Feuer in einer leeren Hülle. Jetzt wird bald das Feuer verlöschen, und die Augen des Alten werden nichts mehr widerspiegeln.

Von alleine erlischt das Feuer nicht, denn die Kräfte der dunklen Seite sind unerschöpflich. Die innere Kraft des Brennenden muß die Wurzeln des Dunklen beseitigen, um das Feuer zu ersticken.
Doch das Feuer brennt heiß!
Und das Feuer brennt hell!
Die Angst vor dem Feuer lähmt, und Gaffer und Brandstifter erschweren die Erfolge.
Bei Manchen ist das Feuer kleiner, bei manchen jedoch hat der Blick des Alten einen Flächenbrand in Gang gesetzt, wie ein Funke in einem alten, vertrockneten Wald.

Während des Kampfes brennt das Feuer weiter, vernichtet, zerstört. Immer höher werden die Schäden, immer unersetzlicher die Verluste.
Es ist ein Kampf gegen die Zeit. Es ist ein Kampf um verlorene Zeit. Unbeeindruckt rieselt die Zeit im Stundenglas des Menschen weiter, geht für immer verloren. Keine Erinnerungen, nur verlorene Zeit. Ein Verlust für alle Zeiten.

Weiter geht der Alte seinen Weg durch die Stadt. Doch während weit hinter ihm das normale Leben wieder Einzug erhält, bleiben einige Stellen in der Stadt dunkel, im verzweifelten Kampf gegen das Feuer, das keiner sieht.

Der Kampf ist nicht aussichtslos. Das Feuer erlischt, wenn die unsäglichen Quellen der dunklen Seite endlich zum Versiegen gebracht worden sind. Ohne Nahrung stirbt jedes Feuer. Doch die Zeit ist knapp. Ein Unentschieden gibt es nicht, nur Sieg oder Niederlage.

Langsam verläßt der Alte wieder die Stadt. Hinter ihm deutet kaum noch etwas auf seinen Besuch hin.
Doch einige Feuer brennen noch. Und Feuer kann tödlich sein.

11.2.97 Lass uns fliegen Die literarische Ecke Über die Magomos


©2020 Holger Thiele
generiert aus "alte.template" vom 28 07 2001
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