Der Ring

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<Bald muß ich auch mal wieder spülen.> denkt er, wirft einen letzten Blick zurück in die leere, kleine Wohnung, dann wirft er die Tür zu und macht sich auf den Weg zur Arbeit.

Was einen verrückten Traum hatte er. Von einem Spiel. Einem Quiz. Oder so etwas ähnliches. Genau kann er sich nicht mehr daran erinnern. Ein Spiel mit einem Einsatz. Nein, eigentlich nicht, denn der Spieleleiter sprach nur von Gewinnen, nicht von einem Einsatz.
Hm, ein Spiel, wo es nur Gewinner gibt?
Er schüttelt den Kopf.
Und der Spieleleiter! Ein komischer Mensch. Er kann kein Gesicht mehr damit verbinden, nur hatte dieser gelbe Augen.
Gelbe Augen! Sowas komisches!
Aber ansonsten war der Spieleleiter eine Person, der man total vertrauen konnte. Man kam sich vor, als kenne man sich schon viele, viele Jahre.

Er schaut einer vor ihm die Straße überquerenden Frau nach. Fast wäre er daraufhin über ein abgestelltes Fahrrad gestoltert. Und so verschwindet der Traum in den nebligen Tiefen des Vergessens.

 

Die Arbeit nimmt und nimmt kein Ende. Er schaut sich um. In dem relativ großen Büro sitzen noch einige Leute und gehen ihrer Arbeit nach.
Er schaut auf den Stapel unerledigter Aufgaben. Ach herrje! Ist das noch viel! Und all so langweiliges Zeug.

Tag um Tag.

Woche um Woche.

Wenn doch mal etwas passieren würde.

Essen.
Lustlos das Kantinenessen herunterschlingen.
Etwas plaudern.
Uninteressantes Zeugs.
Wieder zurück.

Tag um Tag.

Woche um Woche.

Wenn doch mal etwas passieren würde.

"Und, wie lautet Ihre Antwort?" hört er eine sympathische Stimme hinter sich.
Er dreht sich herum.
Ein schlanker, hochgewachsener Mann steht da. Unauffällig, seriös, in einem dunklen Anzug. Mit nettem, äußerst sympathischen Gesicht.

Er schaut den Fremden verblüfft an. Noch nie hat er diesen Mann hier gesehen.
"Wer sind Sie?" fragt er. "Was meinen Sie?"

Der fremde Mann zieht eine Augenbraue hoch. Sein Gesicht zeigt eine gewisse Verblüffung, doch nur kurz. Seine Stimme ist immer noch einschmeichelnd und unaufdringlich, als er antwortet: "Oh, ich verstehe, daß Sie etwas nervös sind. Ich führe Sie durch das Spiel. Ich bin Ihr Moderator, und Sie müssen nun entscheiden, ob Sie mitspielen wollen."

Der fremde Mann lächelt.
Seine Augen funkeln.
Gelb!

 

Völlig entgeistert springt er auf. Sein Herz bummert aufgeregt. Verwirrt schaut er sich im Raume um, doch erstaunt stellt er fest, daß er mit dem Fremden alleine ist. Ihm war gar nicht aufgefallen, daß alle seine Kollegen den Raum verlassen haben.

Der hochgewachsene Mann tritt an die Seite, dort, wo eine große Tafel an der Wand befestigt ist. Eine große, weiße Tafel, schön saubergewischt.
"Ja, Sie spielen das Spiel ohne Einsatz!" ruft der Moderator mit stolzer Stimme. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. "Sie können gar nicht verlieren."
Seine Hand deutet auf die Tafel.
<Das Spiel um Ewigkeit> steht dort.
"Spielen Sie mit, gewinnen Sie ein Stückchen der Ewigkeit." Regelrecht triumphierend ist die Stimme des Moderators.
Er zeigt auf die andere Seite der Tafel. Dort befindet sich ein Bild.
Ein Ring.
In Überlebensgröße.
Ein schlichter, goldfarbener Ring.
Ein faszinierendes Schimmern geht von diesem Ring aus.
"Rund wie ein Ring, ohne Anfang, ohne Ende. Kein Beginnen, kein Beenden."

Der Mann wirbelt herum, blickt ihm an. Sein Blick fesselt ihn.
"Ja, Sie können ein Stück der Ewigkeit gewinnen. Wie gefällt Ihnen das?"
Eine kleine, dramatische Pause, dann blickt der Moderator den vor ihm stehenden Mann an, als würde er vor einem Irren stehen.
"Wieso zögern Sie? Die Ewigkeit! Kein Anfang und kein Ende! Werden Sie unsterblich! Lassen Sie den größten Nachteil der Menschen einfach hinter sich! Begegnen Sie dem Tod mit einem müden Lächeln! Tun Sie, was immer Sie wollen! Sie können alles erreichen, was Sie wollen!"
Und wieder weist der Mann im Anzug auf die Tafel. "Sie können nichts verlieren, denn es gibt keinen Einsatz in diesem Spiel."

Völlig baff steht er dort vor seinem Stuhl. Zu nichts ist er gerade fähig. Nicht, daß er dem Gerede des Fremden Glauben schenken würde. Völlig lächerlich, Unsterblichkeit! Pah! Wie soll das funktionieren?

Das gelbe Funkeln in den Augen seines Gegenübers zieht ihn wieder in seinen Bann.
Oder ist da doch etwas dran?

Der Moderator nickt.
"Ja, lassen Sie sich die Chance nicht entgehen."
Prüfend blickt der Mann mit den gelbe Augen auf das Gesicht, das so dermaßen ratlos dreinschaut, daß es sein Mitleid erregt.
"Ach, wissen Sie was? Ich will mal nicht so sein! Entscheiden Sie sich später. Schauen Sie hier!"
Er hebt seine Hand, und dort hält er ein kleines Schmuckkästchen. Er öffnet es, und darin befindet sich ein schlichter, goldfarbener Ring!
"Hier, das ist das Spiel! Das hier ist ein Stück der Ewigkeit."
Der Fremde hält dem Verblüfften das Kästchen hin.
"Hier, nehmen Sie. Entscheiden Sie ruhig zu Hause. Sie brauchen den Ring nur aufzusetzen! Dann kann Ihnen nichts mehr passieren, und Sie brauchen einfach nur noch das zu tun, was Ihnen Spaß macht! Und wenn Sie meinen, daß Spiel sei nicht gut, dann nehmen Sie den Ring einfach ab, und es ist so, als ob Sie ihn niemals aufgehabt hätten!"
Gönnerisch lächelt der Moderator, dnnn klappt er den Deckel des Kästchens zu und drückt dieses dem immer noch Sprachlosen in die Hand.
"Ich hoffe, Sie werden mitspielen! Wie gesagt, kein Einsatz!"

Er blickt nach unten, auf das Kästchen. Dann wieder nach oben. Oh!
Der fremde Mann ist weg!
Gehetzt blickt er sich um.
Träumt er?
Das kann doch nicht wahr sein!
Die Tafel!
Leer, sauber gewischt!
Sein Herz rast.
Auf dem Gang? Nein, der ist leer, keine Menschenseele.
Nanu?
Es ist spät, sehr spät! Draußen ist es schon dunkel!
Wie? Vorhin war es gerade mal drei Uhr, und jetzt ist es kurz nach zehn?
Unbehagen macht sich breit. Unheimlich ist das Ganze!
Hm, aber das Kästchen ist da!
Er öffnet es. Ja, und da ist dieser komische, goldene Ring drin! Und er schimmert rätselhaft.
Fast wie die Augen des Fremden!

<Ich muß hier raus!> denkt er sich. Unbehagen erfüllt den Raum wie eine Wolke. Schnell zieht er sich den Mantel an, stopft das Kästchen in die Tasche und rennt hinaus.

 

Er sitzt zu Hause auf dem Stuhl an dem kleinen Tisch. Gegessen hat er noch nichts, er hat keinen Hunger.
Vor ihm steht das offene Kästchen mit dem Ring.
Schlicht ist der Ring. Und es sieht aus, als würde ein kleiner, heller Schimmer immer und immer wieder um den Ring herumlaufen.

Noch hat er sich nicht getraut, den Ring überhaupt nur anzufassen. Immer noch denkt er über den geheimnisvollen Moderator nach.
Geträumt habne kann er nicht, denn der Ring ist da. Aber, völlig absurd das Ganze. Der Ring dürft gar nicht da sein!

Und dieses dumme Gerede von der Ewigkeit?
Lächerlich!
Kein Mensch kann ewig leben!

Aber, er ist unsicher. Die Umstände, wie er an den Ring gekommen ist, lassen ihn zweifeln.
Vielleicht ist es ja doch wahr!

Er schüttelt den Kopf.
Völlig absurd.
Er schaut auf die Uhr. Zeit zum Schlafen. Vielleicht ist Morgen ja alles wieder normal, und vielleicht träumt er ja nur einen verrückten Traum.

Ja, das wirds sein. Also, ab ins Bad, waschen, und dann schnell ins Bett.

Aber mit dem Schlafen ist das so eine Sache!
Seine Gedanken drehen sich immer wieder um den Moderator und dessen Ring.

Elf Uhr.
Zwölf Uhr.

Ärgerlich stößt er die Bettdecke weg. Er kann einfach nicht schlafen. Er macht das Licht wieder an. Geradezu hönisch scheint der Ring dort auf dem Tisch zu funkeln. Als wüßte er, daß er sich der Faszination nicht würde entziehen können.

Langsam, zögerlich streckt er die Hand vor, bis er den Ring schließlich berührt. Schnell zuckt er wieder zurück, aber es passiert nichts.
Also nochmal.
Vorsichtig streicht er über den Ring.
Glatt, makellos glatt ist er. Und fühlt sich recht warm an. Auf jeden Fall nicht wie ein Ring aus Metall.
Obwohl, hart ist er.
Komisch.

Er nimmt den Ring aus dem Kästchen.
Und spürt einen ganz leichten Hauch!

Erschrocken läßt er den Ring fallen. Es klirrt merkwürdig, als dieser auf die Holzplatte fällt.

Was war das?
Ein Hauch!
Etwas unheimlich.
Ein Luftzug kann es nicht gewesen sein.
Was aber dann?

Er blickt zur Seite. Er öffnet eine Schublade und holt eine Nadel hervor.
Oh je, was eine Idee!
Aber warum nicht?
Nur kurz zögert er, dann pikst er sich in den Finger.
Und zuckt zusammen.
"Autsch!"

Schmerz fühlt man doch nicht im Traum!
Und der Ring ist immer noch da!

Er wirft die Nadel weg und greift wieder nach dem Ring.
Wieder dieser Hauch.
Oder nur ein Gefühl.
Aber schnell vergeht es.

Von der Größe des Ringes sollte dieser auf den Ringfinger passen.
Direkt wie für ihn gemacht!

Noch überlegt er.
Soll er oder nicht?

Der Ring funkelt faszinierend!

Mit einem entschlossenen Ruck steckt er sich den Ring auf den linken Ringfinger.
Er paßt wie angegossen.

Ein heißer Schauer jagt durch seinen Körper! Unbeschreiblich, das Gefühl! Etwas von Kraft, Stärke.
Der Ring blitzt auf.

Doch schon wieder ist der Spuk zu Ende. Nur noch ein goldener Ring am Finger des Mannes, und dieses komische Gefühl ist auch wieder weg.

Und ein helles Schimmern kreist langsam auf der Oberseite des Ringes.

 

Er hält es in der Wohnung nicht mehr aus. Auf jeden Fall muß er an die frische Luft, was auch immer an diesem Ring besonderes ist oder auch nicht. Schnell zieht er sich an. Dann stürzt er nach draußen, durchs Treppenhaus. Er öffnet die Tür, und dort trifft er auf seine Nachbarin.
Eine der Mitbewohnerinnen in der Wohnanlage.
Wohnt schräg gegenüber.
Sie gefällt ihm ganz gut, aber sie würdigt ihn normalerweise keines Blickes.
Jedenfalls nichts außer einem "Guten Tag".

Sie blickt ihn an. "Hallo!" sagt sie und will weitergehen.

Doch ein rätselhaftes Schimmern in den Augen ihres Nachbarn hindert sie daran.
<Erstaunlich!> denkt sie. Eigentlich nicht ihr Typ, und auch ansonsten hat sie nichts mit ihm zu tun.
Aber dieses leise Schimmern.
Ein leichtes, gelbes Schimmern liegt in seinen Augen.
Faszinierend!

Er weiß gar nicht, warum die Frau nun immer noch da steht.
"Einen schönen Abend!" meint sie. "So spät noch unterwegs?"
<Wie, sie unterhält sich mit mir? Wie kommt denn das? Hinterher fragt sie auch noch, was ich denn noch so vorhabe.>
Sie guckt etwas spöttisch. "Nun, gesprächig sind Sie ja nicht gerade. Was haben Sie denn noch vor?"

Das hält er es nicht mehr aus. Fast wie in Panik stürmt er an ihr vorbei und rennt die Straße herunter.

Weg, nur weg!
Wohin auch immer.
Und warum auch immer!
Er weiß selbst nicht, warum er wegrennt.
Und wohin, weiß er auch nicht.
Dort, über die Straße.
Etwas unübersichtlich hir, aber um die Zeit kommt sicher kein Auto!

Völlig kopflos rennt er auf die Straße.
Lautes Hupen läßt ihn herumfahren. Fast wäre er gestolpert.
Helles Scheinwerferlicht blendet ihn.
Ein Auto kommt direkt auf ihn zu!
Ein häßliches Krachen mischt sich in das Quietschen blockierender Reifen. Mit voller Wucht erwischt das Auto den auf der Straße Stehenden. Wie ein Spielzeug wird er von den Beinen gerissen, prallt mit dem Kopf gegen die splitternde Scheibe und fliegt dann im hohen Bogen über das Auto hinweg, um einige Meter weiter auf den Asphalt zu krachen!

Endlich kommt das Auto mit abgewürgtem Motor zum Stehen. Der Fahrer, sichtlich unter Schock, steigt mit zitternden Beinen aus.
Jui, sieht der Wagen aus. Eine ziemlich heftige Dölle vorne im Kühlergrill, eine Beule in der Motorhaube, eine kaputte Scheibe und reichliche Kratzer auf dem Dach.
Wirklich voll erwischt. Bestimmt mit vierzig oder fünfzig! Das kann keiner überleben! Wie muß der arme Mann jetzt aussehen! Wahrscheinlich zerschmettert, blutüberströmt, mit verrenkten Gliedern!
Der Fahrer wankt nach hinten, dort, wo der Überfahrene auf dem Boden liegt.
Jo, seine Kleider sehen ziemlich mitgenommen aus!
Aber ansonsten?
Richtet sich der "Tote" gerade auf und hält sich den Kopf!

Der Überfahrene lebt!
Obwohl er von einem tonnenschweren Auto mit fünfzig Stundenkilometer Geschwindigkeit über den Haufen gefahren wurde und etliche Meter durch die Luft gewirbelt worden ist, ist ihm nichts passiert!
Er lebt!

Er selbst weiß nicht, wie ihm geschah. Weh hat es getan. Glaubt er jedenfalls. Sehr weh. Aber das alles scheint vergessen. Er sitzt jetzt hier auf dem Boden, müßte tot sein und blickt in die Augen eines Mannes, der scheinbar ein Gespenst gesehen hat.

Er selbst ist das Gespenst!
Warum hat er einen solchen Überfall überlebt?

Rund wie ein Ring, ohne Anfang, ohne Ende. Kein Beginnen, kein Beenden.

Er ist unsterblich!

Er selbst ist das Gespenst!

Nur schnell weg hier!
Er rafft sich auf. Es ist so, als ob nichts gewesen wäre. Kein Schmerz, selbst das Ziehen ist jetzt verschwunden.

Der Fahrer steht immer noch wie angewurzelt da.

Er zuckt mit den Achseln. "Tut mir leid um das Auto." sagt er, dann läuft er zur anderen Straßenseite und verschwindet im Dunkeln.

 

Was eine verrückte Nacht!
Noch einige Zeit ist er durch die Gegend gewandert. Wie in einem Traum.
Aber es ist kein Traum!
Er ist wieder zu Hause, hat noch etwas geschlafen. Wild waren seine Träume, zu wild, um sie anderen zu erzählen. Völlig unverständlich, ein einziges Chaos.
Und immer wieder Ringe und gelbe Augen!

Hm, eigentlich ist er einigermaßen ausgeschlafen. Ziemlich durcheinander, aber das ist nach den Gegebenheiten der letzten Nacht wohl kein Wunder!

Sein Blick fällt auf die zerfetzte Kleidung. Ja, das ist der einzige Beweis für den Unfall.
Neben dem kaputten Wagen!

Er muß grinsen.
Wie soll der Fahre das jemals erklären!
Hm, ja, irgendwie findet er Gefallen an der Sache!

Ja, er ist unsterblich!

Das Spiel hat begonnen!

 

Sein Verhalten hat sich gewandelt.
Unsterblich!
Machen können, was man will!
Wo ist das Problem?

Gut, zu hochtrabend ist er nicht geworden.
Noch nicht!
Wo ist die Grenze, wenn es keine mehr gibt?
Wo ist das Ende, wenn es keinen Anfang mehr gibt?
Rund wie ein Ring, ohne Anfang, ohne Ende. Kein Beginnen, kein Beenden.

Überzeugend wirken seine Argumente. Er setzt sich durch, vertritt seine Ideen.
Und man hört ihm zu.
Er traut sich.
Ja, seine Ideen sind nicht schlecht. Er überzeugt durch Argumente, und er findet seine Zuhörer.
Ein leichtes, gelbes Funkeln zieht sie alle in ihren Bann.

Beliebt wird er. Die Selbstsicherheit gibt ihm ein ganz anderes Auftreten.
Er ist wer!
Scherzt, lacht, flirtet.
Was soll schon passieren?
Ein Spiel ohne Risiko!

 

Doch bald reicht ihm das nicht mehr.
Mehr will er.

Eine Idee braucht er. Er will weiter nach oben.
Warum er nun seinem Mitarbeiter die Idee stiehlt, weiß er selbst nicht so genau. Aber diese Idee ist gut, und er selbst könnte sie jetzt ganz gut gebrauchen.
Und so nimmt er sie sich. Nimmt die Papiere, die Entwürfe, bastelt an ihnen herum und präsentiert diese nun, selbstsicher, mit völliger Überzeugung, daß der andere diese eh nicht hätte fortentwickeln und präsentieren können, seinen Vorgesetzten.
Etwas wage sind seine Ergänzungen dennoch, etwas unsicher die Finanzierung, aber er läßt keinen Zweifel aufkommen.

Er ist unsterblich!
Rund wie ein Ring, ohne Anfang, ohne Ende. Kein Beginnen, kein Beenden.
Was soll schon passieren?
Und so begeistert sein Vorschlag.

Einige Tage, nachdem sein Vorschlag bekanntgegeben worden ist, wird er von dem wütendem Mitarbeiter, dem er die Idee gestohlen hat, zur Rede gestellt.

Doch der Erboste hat keine Chance. Gegen den Unsterblichen hat er keine Chance. Gegen ihn kann er nicht bestehen, und niemand wird ihm glauben, daß die Ideen gestohlen worden.

 

Auch auf Frauen wirkt die Kraft, die Faszination der Unendlichkeit.
Zunächst nur vorsichtig, ist es ihm bald nicht mehr genug, einfach nur faszinierend zu sein.
Denn warum etwas tun, etwas investieren, wenn man es sich doch einfach nehmen kann?

Nur wird ihm nicht bewußt, daß dabei auch das Gefühl auf der Strecke bleibt.

Ja, Macht kann so verführerisch sein!
Wehe dem, der damit nicht umgehen kann!

Mit einem zufriedenen Lächeln verläßt er die Wohnung der Frau, mit der er die Nacht verbracht hat.
Ja, der Mitarbeiter, dem er die Idee gestohlen hatte, hat eine wirklich schöne Frau. Und er hatte die Gelegenheit einer Nachtschicht dieses Mitarbeiters ausgenutzt.
Warum auch nicht?
Ja, eine nette Frau.
Ok, er wird sie nicht wiedersehen. In letzter Zeit ist es für ihn fast ein Spaß geworden, jede Frau für eine Nacht für sich zu gewinnen, die ihm gefällt.

Gefühl ist da nicht mehr im Spiel.
Das ist verlorengegangen.
Die Macht war zu verführerisch.

Er reibt sich die Lippen, dann schließt er die Tür zu seinem Auto auf, steigt ein und fährt los.

Er sieht nicht, daß in einem Auto auf der gegenüberliegenden Seite der Straße der Mitarbeiter sitzt!

 

Ja, inzwischen hat er eine größere Wohnung bezogen. Etwas kalt eingerichtet, modern, zweckmäßig.
Er setzt sich in den großen Sessel. Ja, etwas spät ist es schon. Na ja, was solls? Es ist Samstag.
Er schlägt die Zeitung auf.
Alles uninteressantes Zeugs.
Hm, Lokalteil. Na ja, was solls.
Er blättert.
Nanu, ein Selbstmord.
Ein kleiner Artikel nur. Obwohl, immerhin mit Bild des Hauses, wahrscheinlich als Platzgründen.
Er will schon weiterlesen, als er noch einmal auf dieses Bild schaut.
Das Haus kennt er doch!
Dort hat er vor fünf Tagen die Nacht verbracht!
Das Haus des Mitarbeiters!
Eine eiskalter Schauer jagt durch seinen Körper.
Aufmerksam liest er den Artikel.
Nur wenig steht dort.
Erhängt!
Von einem Abschiedsbrief.
Berufliche und familiäre Probleme!

Er wirft die Zeitung weg und springt auf. Gehetzt rennt er auf und ab.
Berufliche und familiäre Probleme!
Durch ihn!
Erst stiehlt er ihm die Idee, die ihn vielleicht weiter nach oben gebracht hätte.
Und dann stiehlt er die Frau für eine Nacht ohne Gefühl.

"Das kann nicht sein!" ruft er, doch immer stärker wird das bohrende Gefühl im Hinterkopf.

Mörder!

Er rennt zum Telefon. Ruft an, versucht über Bekannte mehr herauszubekommen.

Mörder!

Ja, es scheint zu stimmen!

Mörder!

"Was habe ich getan?" stöhnt er und rauft sich die Haare.
Jetzt hilft der Ring auch nichts mehr.

Mörder!

Er rennt herum. Blickt in den Spiegel.
Ein Monster sieht er dort!
Ein Monster mit kalten, gelben Augen!

Mörder!

Kalt ist es. Schmerz brennt in seinem Herzen.

Er wendet sich ab, kann seinen eigenen Anblick nicht mehr ertragen.

Er rennt zur Bar und schenkt sich einen Cognac ein. Er verschüttet die Hälfe, dann rennt er wieder in der Gegend herum und nippt zitternd an dem Glas.

Wieder blickt er in den Spiegel.
Ein widerliches Monster grinst ihm entgegen.

Wütend wirft er das Glas in den Spiegel. Klirrend zerbirst das Glas, fliegen die Scherben umher.

Er hebt die Hand. Der Ring dort funkelt kalt. Immer noch huscht der helle Schimmer auf der Oberseite des Ringes herum.

Oh, wie haßt er doch den Ring!

Wie kann man eine Sache hassen?

Er greift nach dem Ring. Erst zögert er noch, dann reißt er ihn sich vom Finger und wirft ihn weg.

Langsam fliegt er Ring durch die Luft. Er dreht sich um die eigene Achse, schimmert im Licht der Lampen. Immer wieder funkelt er auf, bis er gegen die Wand trifft.

Und verschwindet!

Der Ring ist weg!

Er schaut verblüfft, dann dreht es sich aufgrund eines komischen Gefühles herum.
Er hat noch den Eindruck eines sich rasend schnell nähernden Autos, dann wird es dunkel um ihn ....

 

Fassungslos schauen die beiden Polizisten auf den am Boden liegenden Toten.
"Der sieht aus, als hätte ihn ein Auto überfahren!" meint der Erste.
Der andere nickt. "Aber hier in der Wohnung?"
Ja, er sieht übel aus. Völlig zerschnittenes Gesicht, einen zerschmetterten Hinterkopf und widerlich verdrehte Gliedmaßen, wahrscheinlich mehrmals gebrochen. Seine Kleider sind zerrissen, er liegt in der Ecke des Zimmers, in einer längst eingetrockneten Blutlache.

 

Der Moderator steht in einem großen Raum. In einem hell erleuchteten Raum. Das Licht kommt von vielen leuchtenden Ringen, die sich in überall im Raum herumschwebenden Glaskugeln drehen.
Ein Grinsen breitet sich in seinem Gesicht aus, als wie aus dem Nichts in einer leeren Glaskugel ein weiterer Ring erscheint.
"Ach ja." seufzt er.
"Ich liebe dieses Spiel. Ein Spiel ohne Risiko."
Er lacht auf. Kalt und gefühllos.
"Ohne Risiko für mich."
Der Moderator blickt noch einmal auf den neuen Ring, dann verläßt er den Raum.

3.12.97 Fackel im Wind Die literarische Ecke Spiegel


©2020 Holger Thiele
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