Wächter im Tal der verlorenen Wünsche

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Impressum
Hallo!
Schön, daß Sie hier einmal vorbeischauen!
Ich bekomme sehr, sehr selten Besuch. Normalerweise verirrt sich niemand an diesen Ort.
Ich darf mich vorstellen: Ich bin der Wächter hier im Tal der verlorenen Wünsche.
Sie schauen etwas verwirrt?
Gut, wenn Sie ein wenig Zeit haben, dann erzähle ich Ihnen ein wenig von mir.

Ich bin hier schon seit seit undenkbaren Zeiten. Seit ich denken kann, wache ich hier über all die verlorenen Wünsche. Ich weiß nicht, ob es für mich ein "Vorher" gab, oder ein "Hinterher" geben wird. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich überhaupt bin!
Ja, da sind Sie erstaunt!
Gut, da Sie mich sehen, bin ich wohl. Aber vielleicht sind Sie ja gar nicht wirklich da, und ich meine nur, Sie zu sehen.
Aber egal!
Hier ist das Tal der verlorenen Wünsche.
Hier landen all die Wünsche, die die Menschen verlieren.
All die Wünsche, die in der Hoffnungslosigkeit versinken.
All die Wünsche, die sich nicht erfüllen.
Und all die Wünsche, an die der Glauben verloren geht.

Ja, das hier ist ein trauriger Ort. Jeder der Wünsche dort unten im Tal zeugt von einem Schicksalsschlag. Mal klein und unbedeutend, mal aber auch groß und verhängnisvoll.
Lassen Sie uns mal heruntergehen.

Wundern Sie sich nicht. Hier herrscht immer Zwielicht. Schlecht zu sehen, das ist hier von Vorteil, brechen doch die vielen Schicksale nicht so über Sie hinein.
Schützen wird Sie das aber nicht, es sei denn, Sie hätten auch Ihr Gefühl verloren.

Kommen Sie weiter. Hier oben, in meinem Haus, da gibt es nichts interessantes zu sehen. Hier, diesen Weg müssen wir hinunter.

Sie zittern? Nein, die Kälte ist es nicht. Hier gibt es weder Wärme noch Kälte. Hier gibt es gar nichts. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß es hier noch nicht einmal Luft gibt!
Warum Sie atmen können?
Ds ist eine gute Frage. Vermutlich, weil es hier auch keine Zeit gibt. Aber ich weiß es nicht genau.
Hier fehlt wirklich viel. Sie können sich von einem Felsen stürzen, wenn Sie möchten. Ihnen wird nichts passieren, hier gibt es noch nicht einmal den Tod.
Und glauben Sie mir, ich habe es versucht!

Aber genug von mir, dort sehen Sie schon ein paar Wünsche.
Ja, diese Scheiben.
Nein, sie sind nicht aus Glas.
Es sind auch keine Fotos.
Aber dennoch ist alles darin, was den Wunsch ausgemacht hat.

Hier, nehmen wir gleich einmal den ersten. Es ist nur eine Kleinigkeit. Sehen Sie den Menschen in der Scheibe schimmern? Ein kleines Kind, es wollte so gerne einen Lolli von ihrer Mutter beim Einkaufen haben. Sehen Sie, wie die Mutter ablehnt. Sehen Sie, wie das Kind anfängt zu weinen? Ja, jetzt spüren Sie auch die Traurigkeit, die in dieser Scheibe steckt? Keine Angst, es ist schnell vorbei. Sehen Sie, das Bild verblaßt. Ich sagte ja, eine Kleinigkeit. Die Mutter wird es nicht böse gemeint haben. Aber so ein Schicksal ist immer subjektiv. Ob richtig oder falsch, sinnig oder unsinnig, für das Kind war es ein verlorenen Wunsch, und so ist er hier gelandet.

Lassen Sie uns weitergehen.
Was, Sie verspüren Angst? Furcht? Schmerz?
Ja, das Zwielicht läßt die Bilder auf den Scheiben schlecht erkennen, aber gegen die Gefühle hilft auch keine Dunkelheit.
Ich? Nein, ich habe keine Gefühle mehr!
Nein, gar keine auch nicht mehr, aber viel ist nicht übriggeblieben im Laufe der Ewigkeit.

Schauen Sie hier. Der Wunsch nach guter Beute. Essen. Vor mehr als 10000 Jahren Ihrer Zeit. Damals waren die Gedanken noch einfacher, primitiver. Gefühle reichten nicht sehr weit. Dennoch, auch damals gab es verlorene Wünsche, und ich habe sie alle gesehen.

Vorsicht, passen Sie auf. Rutschen Sie nicht aus, sonst fallen Sie wohlmöglich in die Scheiben hinein.
Nein, die Scheiben gehen nicht kaputt. Ich mache mir vielmehr Sorgen um Sie. Wenn Sie in so einen Stapel hineinkrachen, sind Sie völlig ungeschützt zwanzig oder mehr Schicksalen ausgesetzt. Vielleicht verlieren Sie sich derart darin, daß Sie nicht mehr daraus hinausfinden.

Schauen Sie hier, diese Scheibe. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung. Sehen Sie die Bilder der Hoffnung? Die Versuche, und die Rückschläge? Bis der Wunsch in der Hoffnungslosigkeit untergegangen ist!
Viele Wünsche hier gehen im Laufe der Zeit so verloren! Immer weiter gehen sie unter Enttäuschungen verloren. Manchmal merken die Menschen dies gar nicht, haben immer noch den Wunsch im Kopf. Ohne gemerkt zu haben, daß es gar kein Wunsch mehr ist.

Weinen Sie ruhig, wenn Ihnen danach ist. Sie brauchen sich nicht zu schämen. Ich, ich kann leider nicht mehr weinen.
Oder zum Glück.
Ach, ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wer bedauernswerter ist: Der mit viel Gefühl, oder der ohne. Viel Gefühl kann zum inneren Tod werden. Doch ob wenig Gefühl da eine Alternative ist?

Hier, hier ist auch eine schöne Scheibe. Oh, entschuldigen Sie bitte meinen Sarkasmus, ich meine es nicht böse.
Ach ja, die Sehnsucht nach Liebe! Wie oft schon habe ich dies gesehen? Sehen Sie die Bilder? Sehen Sie die Gefühle? Und sehen Sie die dunklen Schatten? Sehen Sie die Trauer? Die Schmerzen? Fühlen Sie sie? Fühlen Sie das Brennen?

Schauen Sie sich um. Unendlich viele vergessene Wünsche! So wie diese Scheibe hier, gibt es noch viele, viele weitere. Gleich dort drüben, dort, und dort auch. Kaum jemand der Lebenden weiß um die verlorenen Wünsche der anderen. Keiner dieser Wünsche ist im Strom der Zeit von Bedeutung. Vermutlich landen sie deswegen hier. Oder dies ist der Grund, warum sie keine Bedeutung haben. Vermutlich muß es so sein.

Sie fragen ob es auch ein Tal der erfüllten Wünsche gibt? Oh, das weiß ich nicht. Ich glaube aber nicht.
Auch erfüllte Wünsche können hier landen. Schauen Sie hier. Auch wieder so eine Gefühlsgeschichte. Oh, Verzeihung. Aber sehen Sie selbst. So schön, so viel Freude, so viel Hoffnung, so viel Kraft. Die erfüllte Zweisamkeit. Für alle Zeit.
Verzeihen Sie, wenn ich lächle. Wer kann sich unter "Zeit" schon etwas vorstellen, was auch nur annähernd der Wirklichkeit entspricht?
Aber sehen Sie hier: Erfüllt? Erfüllte Wünsche gibt es nicht. Hier hat die Sorglosigkeit zugeschlagen. Der Glaube an das erreichte Ziel, das Nichtsehen der Notwendigkeit, immer wieder aufs Neue zu kämpfen und zu hoffen, war auch hier der Anfang vom Ende.

Wie meinen Sie? Zeit? Nein, ich weiß auch nicht genau, was die Zeit ist. Ja, eigentlich sollte ich es wissen, nicht wahr? Ich bin ein Teil der Zeit. Na ja, Sie eigentlich auch. Gut, ich habe vor Ihnen gelebt, und werde nach Ihnen immer noch leben. Vielleicht, ich weiß es nicht. Zeit - nein, die Zeit besteht am Allerwenigsten aus Minuten und Sekunden. Was meinen Sie, wie lange Sie schon hier sind? Und schauen Sie nicht auf Ihre Uhr, diese kann Ihnen hier nicht helfen.

Sehen Sie diese Scheibe hier. Auch ein tragischer Fall. Ein Ehepaar, verheiratet, über lange Zeit. Ob die Heirat nun gut war oder nicht, wer weiß. Aber im Laufe der Zeit wurde die Bindung zum Gewohnheit. Nicht zum Alltag, sondern zur Gewohnheit ohne festen Sinn. Und sie haben es nicht gemerkt! Gut, Sie fühlen hier wenig Schmerz, aber Sie vermissen hier auch die Freude!
Ach, diese Scheiben sind schwer zu ertragen. Selbst jetzt noch. Sie tun mir leid. Freude und Leid gehören zusammen, aber diese hier haben etwas verpaßt, ohne es wirklich zu wissen.

Nein, die Scheiben sind immer gleich groß. Hier sind alle verlorenen Wünsche gleich bedeutend. Oder unbedeutend. Erst, wenn Sie eine Scheibe betrachten, können Sie die Größe erahnen. Aber passen Sie auf, daß Sie sich nicht in einer solchen Scheibe verlieren. Ansonsten widerfährt Ihnen das gleiche Leid!

Wie, Sie denken immer noch darüber nach, wie lange Sie nun schon hier sind? Oh, ich kann Ihnen da auch keine Antwort drauf geben. Es gibt keine Antwort, falls Sie das noch nicht gemerkt haben sollten. Hier liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nebeneinander. Ihre Zeit hat hier keine Bedeutung. Es spielt keinen Unterschied, ob Sie nun fünf Sekunden oder fünf Jahre hier sind.

Aufräumen? Nein, das hat keinen Sinn. Die Scheiben liegen hier herum, dabei bleibt es. Wie sollte ich die ordnen? Und für wen?

Hier, eine besonders traurige Scheibe. Wird sie für Sie jedenfalls sein, nehme ich an.
Blicken Sie hinein. Eine Kreuzfahrt. Eine Hochzeitsfahrt. Über das weite Meer. Spüren Sie die Freude? Die Liebe?
Doch das Schicksal hat es nicht so gewollt. In einem Unwetter läuft das Schiff gegen einen Eisberg. Spüren Sie den Wunsch nach Leben? Die Angst, daß das Glück in den Fluten des Meeres ein Ende findet?
Dieser Wunsch traf mit dem Tod der beiden hier ein.

Was ist los mit Ihnen? Sie sind so weiß, Ihnen läuft der Schweiß über die Stirn. Warten Sie, ich lege die Scheibe zur Seite.
Beruhigen Sie sich wieder. Kommen Sie ein Stück zur Seite. Ja, die Bilder und Gefühle ziehen Sie schnell in ihren Bann. Wenn Sie sich diese Scheibe länger betrachten, erleben Sie alles mit. Bis hin zum Tod. Passen Sie auf. Verlorene Wünsche sind kein Spaß!

Ja ja, es ist, als ob es jetzt passieren würde. Wann es passiert ist? Wer weiß. Gestern, vor 86 Jahren oder im nächsten Jahrhundert. Im Grunde passiert es dann, wenn Sie sich die Scheibe anschauen. Dann sind Sie dort!

Kommen Sie, gehen wir etwa dort herüber.
Ah, da hinten ist auch eine interessante Scheibe. Sie ist von Ihnen. Ein verlorener Wunsch von Ihnen.
Was ist? Sie weichen zurück? Sie haben Angst?
Sie wollen lieber wieder gehen?
Eigentlich schade, dann bin ich wieder alleine.
Aber ich kann Sie schon verstehen. Das hier ist ein gespentischer Ort, und ich bin sein gespenstischer Wärter.
Vielleicht sehen wir uns ja irgendwann noch einmal wieder.
Kommen Sie, ich bringe Sie zum Ausgang zurück.
Vielleicht denken Sie ja ab und an mal an mich.
Vielleicht hat Ihnen dieser kleine Ausflug ja etwas gebracht. Ab und an brauchen Sie auch keine Scheiben, um die verlorenen Träume von anderen zu sehen. Hauptsache, Sie lernen damit umzugehen.

Auf Wiedersehen.

27.12.98 Die Geschichte vom Quantenland Die literarische Ecke Fackel im Wind


©2020 Holger Thiele
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